Bergen oder liegen lassen - wie gehen wir mit der Bedrohung um?

Die Forderung nach der Bergung und fachgerechten Entsorgung des Giftgaserbes wird angesichts der bestehenden horrenden Gefahren für Mensch und Umwelt und den unabsehbaren Langzeitfolgen der Kontamination auch in der Öffentlichkeit immer lauter. Schon im Jahr 1969 kam der damals mit der Erstellung eines Berichts für die dänische Botschaft beauftragte Korvettenkapitän Kurt Jäckel zu dem Schluss: „Die über 20-jährige Lagerung der ca. 50.000 Tonnen Kamfstoff-Munition in der Bornholmer Mulde hat bis heute nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren. Vielmehr muss das Gegenteil angenommen werden. Es bedarf schnellen und wirksamen Handelns auf breitester Basis, um unabsehbaren Schaden, insbesondere für die Küstenbevölkerung und die Fischer abzuwenden.“ In der Folgezeit haben Journalisten und führende Wissenschaftler immer wieder versucht, Politik und Wirtschaft auf die Dringlichkeit einer raschen Lösung hinzuweisen, sind indes mit ihren Forderungen immer wieder gescheitert.

Folgt man dem Diskussionsverlauf in der Öffentlichkeit über eine Zeitraum von gut 50 Jahren, so stellt man fest, dass auf nahezu jeden Giftgasfund, insbesondere einem solchen, bei dem es Verletzte gibt, die Forderungen nach einer endgültigen Beseitigung der Kampfstoffe lauter werden. Hier finden sich auch immer wieder Politiker, die ein solches Vorhaben unterstützen. Nach einiger Zeit kommen dann allerdings andere zu dem Schluss, dass liegen lassen doch die bessere Alternative sei. Dieskann aber nur als ein Diktat des schmalen Geldbeutels und keineswegs als ein solches der Vernunft angesehen werden, oder ist es etwa „vernünftig“, wenn wir bis heute mehrere hundert, in Zukunft wahrscheinlich einige tausend, schwer verletzte oder gar tote Menschen im wahrsten Sinne des Wortes „in Kauf nehmen“ um uns vor der Bergung und Entsorgung des Giftgaserbes zu drücken? Ganz zu schweigen vom Lebensraum Ostsee, den es, wenn das letzte Behältnis verrottet ist, wohl kaum noch geben wird.

Unbekannte Risiken bei der Bergung:

Das Einholen intakter Munition ist für die Bergungskräfte immer mit erheblichen Risiken verbunden. Daneben stellt die Bergung geborstener Lostbehälter oder Klumpen, wobei die Bergungsmannschaft schwere Verbrennungen riskiert, nach wie vor eine noch größere Gefahr dar.

Größere Schwierigkeiten dürfte auch der Umstand bereiten, dass in den Versenkungsgebieten, in denen noch bis iin jüngste Zeit Versenkungen stattgefunden haben, Bergungsteams auf Behältnisse verschiedener Generationen treffen werden, deren Korrosionszustand im Extremfall von völlig verfault bis neuwertig reichen kann.

Es ist deshalb notwendig, Methoden zur Sicherung und gefahrlosen Bergung der verschiedenen Kampfstoffe zu entwickeln, bzw., zu verfeinern, um die mit einer möglichen Unschädlichmachung oder Bergung verbundenen Gefahren für die Sicherungs- und Bergungskräfte so gering wie irgend möglich zu halten.

 

Das Problem der Endlagerung oder Verbrennung:

Außer den technischen Schwierigkeiten, die Kampfstoffe möglichst risikolos zu bergen, besteht das Problem der Endlagerung oder Vernichtung. Zur Zeit existiert in der Ostseeregion keine geeignete Munitionsverbrennungsanlage. Weltweit gibt es wohl nur eine Anlage, die es grundsätzlich mit solchen Mengen aufnehmen könnte: Die „Tooele Chemical Agent Disposal Facility“ in Tooele bei Salt Lake

City, in Utah, USA. Allerdings bestehen auch hier immense Schwierigkeiten mit dem Transport. Es ist daher zwingend notwendig, für den Bau (mindestens) einer für die Entsorgung der geborgenen Kampfstoffe geeigneten Anlage zu sorgen und dabei den Standort so zu wählen, dass auch ein sicherer Transport der geborgenen Kampfstoffe gewährleistet ist.

Zuständigkeitsprobleme und Rechtsfragen:

Mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit der Rechtslage und die mangelnde Zuständigkeit schaffen es sämtliche Ostseeanrainerstaaten seit Jahrzehnten, sich aus der Verantwortung für das Giftgasproblem zu stehlen. Eine Initiative der dänischen Regierung im Jahr 1985, die das Problem auf internationalem Wege lösen wollte, scheiterte am Widerstand Polens, der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland.

Mindestens 290.000 Tonnen der mittlerweile in der Ostsee versenkten Giftgasmunition stammen aus deutscher Produktion. Die Versenkung erfolgte zwar größtenteils durch die Alliierten und auch nicht ausschließlich in deutschen Hoheitsgewässern, doch zumindest für die in den 50er, 60er und 70er Jahren durch die Volksmarine der ehemaligen DDR versenkten Bestände kann die Bundesrepublik möglicherweise in rechtlicher Hinsicht verantwortlich gemacht werden.